Ostdeutsches Sandmännchen

Sandmännchen

auf den Barrikaden und setzte die ARD unter Druck. Sandmännchen "Sandmanns Verbot" wurde als eine Art Vorbereitung auf große Schwierigkeiten angesehen, danach konnten nur noch Zimmerarrest und völliges TV-Verbot kommen. Ohne die abendlichen Grüße des Fernsehens der DDR ins Bett gehen zu müssen, könnte ein Kleinkind bereits den Vertrauen in die elterliche Liebe und eine gerechtere Lebenswelt verlieren. Gegen 17:50 Uhr kam der erste Abendgruss für die ganz Kleinen (Sechsjährige und darunter), um 18:50 Uhr die Repetition für die "Großen".

Die TV-Premiere von "Unser Sandmann" fand am Abend des Jahres 1959 statt. Der DFF-Programmdirektor Walter Heynowsky (der später mit Gerhard Scheumann als politischer Dokumentarfilmer bekannt wurde) war wenige Wochen zuvor auf eine Pressemitteilung gestossen, woraufhin der SFB einen abendlichen Gruß mit ihm plante. Ob Walter Ulbricht, der damals über die DDR herrschte, sein wirtschaftliches "Überholen ohne aufzuholen" vom Sandmannkollektiv hatte, ist ungewiss.

Tatsache ist jedoch, dass die Geburtsstunde des Traum-Sandstreuers eine Lehre war, wie die ohnehin schon unbeschreibliche Bürokratie der DDR etwas tun konnte, wenn sie ihre Menschen von der Stange hat. Es ist auch eine Tatsache, dass Heynowski in einem Memo dringend davor gewarnt hat, dass "die Intention des Gegners, die Aufmerksamkeit unserer Betrachter zu gewinnen, nicht zu unterschätzen ist" - der SFB wollte sein Kinderprogramm zeitgleich mit den damals noch sandmännerlosen DFF-Abendgrüssen ausstrahlen.

Der DFF hat innerhalb kurzer Zeit den am längsten dienenden bundesdeutschen Media-Star aus dem Weg geräumt. Bühnen- und Kostümdesigner Gerhard Behrendt gestaltete in nur zweiwöchiger Arbeit die Sandmännchen-Figur und -Kulisse. Bei seiner ersten Episode schläft der Sandman in einem Hauszugang ein, ohne Streusand; der Transmitter wird dann mit heißen Dingen, hausgemachten Minibetten und Appartementangeboten überhäuft.

Das Sandmännchen wurde rasch zum Alleskönner. Bei den Ostberliner Festwochen und bei der Eröffnung des Fernsehturmes war er anwesend, kam zum neuen Prunkstück Palast der Bundesrepublik sowie mit einem Strahlwagen (!) zu einem sogenannten Altbaugebiet. Mehr Ärger gab es jedoch, als er mit einem Luftballon in die Kinderzimmer geflogen ist; zwei Tage vorher waren zwei Gastfamilien mit einem Luftballon aus Thüringen nach Bayern geflüchtet.

Dennoch genossen die Sandmänner die Freiheit zu reisen. Sobald die Russen mit dem Raum verbunden waren, flogen die Sandmänner ihnen nach. Wenn Leonow die erste Person war, die aus einer Weltraumkapsel herauskam, hängte der Sandman bald an einem Sicherungsseil im Ostberliner Trickfilmstudio. Und als Sigmund Yähn, der erste Deutscher, 1978 endlich ins Weltall gelassen wurde, war der Sandarbeiter auch da.

Der national stolze Ostdeutsche sah nicht nur Jähn aus den endlosen Weiten ins Innere des Hauses flackern, sondern auch eine freischwebende Sandmännchen. Doch nur durch seine Kameraden wurde der Sandman zum Export-Hit (er ging nach Finnland, Dänemark und Schweden sowie als solidarisches Geschenk an Vietnam; selbst der WDR wollte es, durfte es aber nicht haben).

Jeden Abend gab es eine Gutenachtgeschichte, und die DFF-Macher schafften jahrzehntelang einen puppentechnischen Direkttreffer nach dem anderen: 1991 sollte der DFF dennoch Platz machen für die neue deutsche TV-Landschaft; der DFF war verschwunden und auch der DFF musste, so die Presse, mit ihm gehen. Es entbrannte ein Unwetter, es entstanden Unterschriftenverzeichnisse, die den Fortbestand von Herrn Dr. med. Sandmann aufzeigten.

Bereits 1990 hatte die Ostberliner Tageszeitung "Junge Welt" Medienreformer prophezeit: "Wenn sie in diesem Lande an einem Mann versagen können, dann ist es der Sandmann".

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